Seit längerer Zeit kommen vermehrt Patientinnen ins Krankenhaus Wegscheid mit Übergewicht und Schmerzen in den Beinen, teils auch in den Armen.
Bisher wurden diese Beschwerden primär auf das Übergewicht geschoben und den Patientinnen geraten, abzunehmen. Seit kurzem ist jedoch eine neue und wohl zivilisationsbedingt aufgetretene Erkrankung bekannt geworden – das Lipödem.
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Was ist ein Lipödem?
Das Lipödem ist eine chronische und fortschreitende Störung der Fettgewebsverteilung, die fast ausschließlich bei Frauen auftritt. Es beginnt in der Regel in einer Phase hormoneller Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahre. Bezüglich der Häufigkeit und Verteilung des Lipödems existieren keine gesicherten Daten, jedoch zeigt sich in mehreren Studien eine Häufigkeit von 7 bis 9,7%. Angesichts der weitverbreiteten Unsicherheit bezüglich der Diagnosestellung geht man von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Ursache für dessen Entstehen ist unbekannt. In bis zu 60% der Fälle wurde eine genetische Komponente mit familiärer Häufung des Lipödems beschrieben.
Entwicklung
Die umschriebene Fettgewebsvermehrung ist Folge einer Größenzunahme und Zunahme der Zellanzahl der Fettzellen. Außerdem sind Veränderungen des Bindegewebes zu beobachten. Zusätzlich liegt eine Kapillarpermeabilitätsstörung vor, wodurch vermehrt Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem ins Gewebe gelangt. Die erniedrigte Stabilität der Blutkapillaren bedingt die auffallende Hämatomneigung. Aufgrund des vermehrten Flüssigkeitsangebots dekompensiert mit der Zeit das Lymphgefäßsystem und es kommt zu Ödemen. In einem Teil der Fälle kommt es im weiteren Verlauf zur Ausbildung eines Lipödems mit sekundärem Lymphödem (sog. Lipolymphödem). Im fortgeschrittenen Stadium zeigen sich dann sekundäre Veränderungen wie Sklerose (krankhafte Verhärtung von Gewebe) und Papillomatose (Hautverdickung).
Typeneinteilung
Die Veränderungen des Lipödems treten immer symmetrisch an den Beinen und/oder Armen auf. Die Fettvermehrung kann sich gleichmäßig über Ober- und/oder Unterschenkel bzw. Ober- und/oder Unterarm verteilen und hört meist oberhalb der Hand- oder Fußgelenke auf. Der Fettanteil grenzt sich deutlich von den gesunden Regionen ab und beginnt mit einer sprungartigen Umfangsvermehrung (sog. Kalibersprung).
Stadieneinteilung
Anfangs zeigt sich eine isolierte Fettgewebsvermehrung mit Umfangsvermehrung. Im späteren Verlauf treten dann knotige Veränderungen im Unterhautfettgewebe auf. Im Endstadium finden sich zusätzlich oft umschriebene Wulstbildungen (Wammen).

Symmetrische, druckempfindliche Unterhautfettanlagerumgen an den Beinen, seltener auch an den Armen, sind typische Anzeichen einer Lipödem-Erkrankung. (Foto: vanillya/Adobe Stock)
Beschwerden
Die Betroffenen sind in ihrer Lebensqualität oft stark eingeschränkt. Dies ist einerseits Folge der Volumenzunahme und der Disproportion zwischen Stamm und Extremitäten, andererseits leiden die Betroffenen – verstärkt bei warmem Wetter, nach längerem Stehen bzw. Sitzen sowie am Abend – an einem Spannungsgefühl mit Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit. Teils kann auch eine erhebliche Spontanschmerzhaftigkeit bestehen. Die Schmerzen sind oft dumpf, drückend und schwer zu beschreiben. Die Haut ist oft kalt und neigt zu Hämatomen. Im Stadium III entstehen über Scheuereffekte sog. Mazerationen (Quellung oder Aufweichung des Gewebes) in den Hautfalten und Infektionen. Die Wulstbildungen an den Oberschenkelinnenseiten führen zu einer Störung des Gangbildes mit Achsenfehlstellung der Beine und orthopädischen Komplikationen (vorwiegend Valgusgonarthrosen / X-Beinfehlstellung).
Diagnostik
Die Stellung der Diagnose Lipödem erfolgt durch Anamnese (Befragung zur Vorgeschichte), Inspektion (Anschauen) und Palpation (Abtasten). Im weiteren Behandlungsverlauf sind Größe, Gewicht und Beinumfänge wichtig, um den Behandlungserfolg zu dokumentieren. Ferner werden im gleichen Zuge der sog. Waist-Hip-Ratio (Taille-Hüft-Verhältnis) und der Waist-Height-Ratio (Taille-zu-Größe-Verhältnis) errechnet.
Therapie
Die Therapieziele sind die Reduktion der Beschwerden und der Umfänge durch entstauende Maßnahmen. Dadurch sollen auch die im späten Stadium möglichen Komplikationen wie Hautirritationen usw. vermieden werden. Zu diesen Maßnahmen zählen:
Gewichtsreduktion bei zusätzlich vorliegender Adipositas (krankhaftes Übergewicht) mit Ernährungsberatung, -anpassung und gegebenenfalls bariatrischer (Adipositas-)Chirurgie.
Kombinierte physikalische Entstauungstherapie (KPE)
- Manuelle Lymphdrainage
- Kompressionstherapie mit Flachstrickwäsche
- Supportive apparative intermittierende Kompressionstherapie
- Bewegungstherapie
- Hautpflege
Die Liposuktion ist die operative Behandlung zur dauerhaften Reduktion der Gewebemengen und sollte erst bei massiven Beschwerden oder Fortschreiten der Erkrankung trotz konsequenter konservativer Behandlung oder im Stadium III eingesetzt werden. Bei zusätzlicher Adipositas empfiehlt sich präoperativ jedoch die Gewichtsreduktion bis unterhalb von 120 kg oder dem BMI von 32 kg/m².
Schwerpunkt Lipödem im bayerischen Wald
Im Krankenhaus Wegscheid und in den Sprechstunden im MVZ Hauzenberg erfolgt die primäre Diagnostik und leitliniengerechte Therapie (KPE). Zusätzlich können die Patientinnen an eine hiesige Selbsthilfegruppe angebunden werden. Ausführliche Beratungen jenseits der rein medizinischen können bei einer spezialisierten Lipödemberaterin erfolgen.
- Über beide medizinische Anlaufstellen in Wegscheid und Hauzenberg kann die Behandlung in der Entstauungsphase I ambulant organisiert werden. Dies ist in dieser Region einzigartig, da die Behandlung meist stationär in Lymphkliniken stattfinden muss. Diese befinden sich jedoch gut circa zwei Stunden Autofahrt entfernt. Nach Einigung mit den Krankenkassen gelang es daher, nun auch ein in der Region einzigartiges ambulantes System aufzubauen, das genauso erfolgreich ist, die Patientinnen jedoch nicht aus dem täglichen Leben herausreißt. Anschließend geht die Behandlung in die Entstauungsphase II über, wobei regelmäßig Lymphdrainagen rezeptiert werden und Verlaufskontrollen erfolgen.
- Die notwendige Kompressionswäsche kann zusammen mit einer spezialisierten Kompressionsberaterin an die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden. Unterstützend ist im MVZ Hauzenberg jederzeit die kostenfreie Behandlung mittels apparativer Lymphdrainage möglich. Hierfür stehen zwei Lymphomate zur Verfügung. Sofern im weiteren Verlauf die Indikation zur Liposuktion bestehen sollte, können hierfür spezialisierte plastische Chirurgen empfohlen und postoperativ die Nachbehandlung chirurgischerseits fortgesetzt werden. Das gesamte Team an beiden Anlaufstellen ist stets verständnisvoll, engagiert und entgegenkommend.
Kontakt
Allgemein- und Viszeralchirurgie am Krankenhaus Wegscheid
Lipödem-Sprechstunde: Do. 9 – 16 Uhr
Tel.: 08592/880-407