„Ein Loch ist im Eimer“ – über Hernien und Brüche

Landkreis Passau GesundheitseinrichtungenAllgemein

von Dr. med. Michael Zitzelsberger, Chefarzt und Dr. med. Alfons Murr, Leitender Oberarzt der Abteilung Allgemein- und Visceralchirurgie/Proktologie am Krankenhaus Vilshofen

Schwachstellen des menschlichen Bauchraumes

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Das Team der Abteilung Allgemein- und Visceralchirurgie/Proktologie am Krankenhaus Vilshofen (v.l.n.r.): Oberarzt Walter Stürtz, Chefarzt Dr. med. Michael Zitzelsberger, Ltd. Oberarzt Dr. med. Alfons Murr sowie Oberarzt Dr. medic. (RO) Radu Suteu. Im Vordergrund hält Chefarzt Dr. Zitzelsberger ein Erläuterungsmodell „Leistenbruch für Patienten“, mit dem die komplexe anatomische Situation veranschaulicht werden kann.

„Ein Loch ist im Eimer, Karl Otto, Karl Otto“ – Viele von Ihnen erinnern sich möglicherweise noch an dieses absurde Kettenlied der Gruppe Medium Terzett, das 1964 entstand und bis heute populär ist. Grob betrachtet entspricht der menschliche Bauchraum einem Eimer mit Deckel (Zwerchfell), Boden (Beckenboden) und Seitenwänden (Bauchdecke) in dem die Eingeweide (Dünndarm, Dickdarm, Bauchnetz, Blinddarm, Blase, Eierstöcke und Gebärmutter) „herumschwimmen“. Das Loch im Eimer entspricht medizinisch einer Hernie, umgangssprachlich „Bruch“ genannt.

Der menschliche Körper hat konstruktionsbedingt viele Schwachstellen, die angeboren sind oder unter entsprechender Belastung zu „Löchern“ (Hernien/Brüchen) werden können. Die häufigsten Schwachstellen sind die beiden Leisten, die den Durchtrittsstellen der Hoden durch die Bauchdecke während der Entwicklung des männlichen Embryos im Mutterleib entsprechen. Auch der Nabel, der dem Eintritt der Nabelschnur entspricht, sowie diverse Öffnungen im Zwerchfell (z.B. Speiseröhrenbruch) oder Narbenbrüche nach Bauchoperationen zählen zu den Schwachstellen unseres Körpers.

Ähnlich wie bei Spundlöchern im Fass oder Eimer kann es zum Herausfließen des Inhalts kommen. Bei den Öffnungen in der Bauchdecke erfolgen möglicherweise Einklemmungen, das heißt die Baucheingeweide rutschen durch die Öffnungen in der Bauchdecke und gelangen nicht wieder zurück, da sie hängen bleiben. Durch den Druck der elastischen Bauchdecke kommt es zu Durchblutungsstörungen der eingeklemmten Organe, was zum lebensbedrohlichen Gewebeuntergang führen kann. Sollten Sie also an Ihrem Körper eine stark schmerzhafte Vorwölbung bemerken, die sich nicht wieder zurückdrücken lässt, dann ist es unumgänglich, unverzüglich, nein sofort, eine Klinik mit OP-Möglichkeit aufzusuchen. Eingeklemmte Hernien sind einer der häufigsten Notfälle in der Chirurgie. Nachdem Notfälle immer unter ungünstigen Umständen stehen, versucht man durch eine vorbeugende Korrektur in Form einer geplanten, prophylaktischen Operation die Löcher in der Bauchdecke zu „verstopfen“.

Die Behandlung von Hernien

Auch in dem Lied heißt es dazu: „Verstopf es, oh Henry, oh Henry, verstopf es, oh Henry, oh Henry – mach‘s dicht! Womit denn, Karl-Otto, Karl-Otto, Karl- Otto, womit denn, Karl-Otto, Karl-Otto, womit?“ Auch diese Frage stellen wir Chirurgen uns. In dem Lied wird dafür Stroh verwendet, was beim Menschen sicher nicht das Optimalste ist. Während es früher nur das körpereigene Gewebe und Nadel und Faden gab, um diese Hernien/Bruch-Löcher zu „stopfen“, was häufig nicht lange vorgehalten hat, haben sich heutzutage gut körperverträgliche Netze aus verschiedenen Kunststoffen etabliert, mit denen man die Schwachstellen des Körpers abdichten beziehungsweise verstärken kann.

Individuell angepasste Methoden

Die Menschen sind nicht alle gleich, die Bruchformen an Größe und Lage sehr verschieden und die Gewebequalität bei jedem betroffenen Patienten unterschiedlich. Kein Wunder also, wenn der Laie, nach einer Suche im Internet verwundert den Kopf schüttelt, ob der Vielzahl der Ansatzpunkte und Methoden. Es würde zu weit führen hier alle Methoden und Zustiegswege wissenschaftlich exakt aufzulisten. Hierzu gibt es die ärztlichen Spezialisten an unseren Krankenhäusern, die umfangreiche Erfahrungen mit den verschiedenen Methoden haben und die, „individuell angepasst“, die optimale Lösung für den Patienten entwickeln werden. Man kann Brüche von außen durch Aufschneiden der Bauchdecke versorgen oder von innen durch die sogenannte laparokopische Schlüssellochmethode. Die Netze werden unter das Muskelgewebe gelegt (sublay), darauf (onlay) oder zwischen die Geweberänder eingepasst (inlay). Individuelle Besonderheiten führen zu einem ärztlichen Vorschlag, der dann für das Individuum der optimalste Weg sein dürfte. Dieser könnte jedoch durchaus mit den Wunschvorstellungen kollidieren, die Sie sich vielleicht auf Grund von eigenen Betrachtungen des umfangreichen Materials im Internet gemacht haben. Wir erklären Ihnen jedoch gerne, warum und wieso es bei Ihnen nur die eine oder andere Möglichkeit gibt.

Maßgeschneiderte Hernienchirurgie

Zur Abdichtung von Hernien werden verschiedene Netze verwendet. Ein Beispiel ist das 3D Endolap 10x15cm. (Foto: FEG Textiltechnik mbH/ P. J. Dahlhausen & Co GmbH)

Zur Abdichtung von Hernien werden verschiedene Netze verwendet. Ein Beispiel ist das 3D Endolap 10x15cm. (Foto: FEG Textiltechnik mbH/ P. J. Dahlhausen & Co GmbH)

Genauso unterschiedlich und individuell jeder Patient ist, so individualisiert ist mittlerweile auch die moderne Hernienchirurgie. So ist die Operation eines Leistenbruches bei einem 30-jährigen Sportler anders, als bei einer 80-jährigen Frau oder einem Jugendlichen. Bei der Wahl des geeigneten OP-Verfahrens werden verschiedene Faktoren wie Begleiterkrankungen, Beruf, Alter, Voroperationen, Medikamente, Allergien und auch Patientenwünsche berücksichtigt. Wir sprechen daher von der „tailored surgery“, der maßgeschneiderten Chirurgie.

Verwendung von Netzen

In den meisten Fällen werden Kunststoffnetze zur Bauchwandrekonstruktion implantiert. Dabei handelt es sich um hochmoderne verträgliche Materialien, welche zum Teil 3-dimensional vorgeformt sind oder spezielle Beschichtungen haben, um Verwachsungen zu vermeiden. Auch selbstklebende Netze kommen zum Einsatz.

Verschiedene OP-Techniken

Für Hernienoperationen gibt es unterschiedliche Zugangswege: Neben der klassischen offenen OP mit Zustieg von außen gibt es den minimalinvasiven Zugang in Schlüssellochtechnik. Wenn immer möglich, verwenden wir minimalinvasive Verfahren. Dies ist sowohl bei Leisten- (TAPP- oder TEP-Verfahren), als auch bei Nabelbrüchen möglich. In zunehmendem Maße können auch Narbenbrüche nach vorausgegangenen Operationen minimalinvasiv operiert werden (laparoskopische IPOMOP). Auch der Bruch an einem künstlichen Darmausgang kann meist minimalinvasiv repariert werden. Nur bei ausgedehnten Verwachsungen ist diese Technik nicht möglich, denn an erster Stelle steht immer die Patientensicherheit.

Zu den klassischen offenen OP-Techniken zählt die OP nach Shouldice. Diese verwenden wir oft bei Jugendlichen, da hier kein Netz notwendig ist. Klassische offene OP-Techniken beim Leistenbruch sind die Lichtenstein-OP und das TIPP-Verfahren mit Netzimplantation von außen. Auch große, komplexe Bauchwandbrüche werden klassisch offen operiert. Hier kommen Netze mit bis zu 40×30 Zentimeter zum Einsatz. Diese werden in der sogenannten Sublay- Technik zwischen Bauchmuskulatur und Bauchfell platziert.

Hintergrund

hernien-siegelDHG-Siegel „Qualitätsgesicherte Hernienchirurgie“

Um die Qualität bei der Behandlung von Hernien zu verbessern beteiligt sich die Abteilung Allgemein- und Visceralchirurgie/ Proktologie des Krankenhauses Vilshofen an der Studie „Herniamed“ für ein nationales Hernienregister. Dabei werden die Daten von Hernienoperationen nach wissenschaftlichen Standards erfasst. Auf Basis der gewonnen Ergebnisse können Experten die besten Therapieoptionen für Patienten erarbeiten. Für ihren Beitrag zur Qualitätssicherung und die Mitgliedschaft bei der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) hat die Abteilung das DHG-Siegel „Qualitätsgesicherte Hernienchirurgie“ erhalten.

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