von Gesine Hirtler-Rieger
Menschen mit Demenz ziehen sich oft aus der Öffentlichkeit zurück. Zu verwirrend und bedrohlich erscheinen ihnen fremde Leute und neue Ereignisse, die sie nicht einordnen können. Und dann der Schock, wenn sie ins Krankenhaus müssen: Weißkittel schieben sie hierhin und dorthin, piksen sie mit Nadeln, traktieren sie mit Untersuchungen. Die Welt, die zuhause schon schwierig genug ist, wenn Kleinigkeiten wie die falsche Kaffeetasse nicht stimmen, gerät in der fremden Umgebung endgültig aus den Fugen.
Wen wundert’s, dass manche unruhig werden, vielleicht sogar schreien? Und wen wundert’s, dass Schwestern und Ärzte selbst hilflos sind angesichts fremder Hilflosigkeit? Im Krankenhaus Vilshofen hat man sich dieser Herausforderung gestellt. Seit 2014 nimmt das Haus teil am Pilotprojekt “Menschen mit Demenz im Krankenhaus”, das vom Bayerischen Gesundheitsministerium gefördert wird. Ziel ist es, das Personal auf allen Ebenen zu schulen und zu sensibilisieren und Abläufe so anzupassen, dass sie für demente Patienten leichter zu ertragen ist. Doch auch der neu ins Leben gerufene ehrenamtliche Besuchsdienst (siehe unten) ist Teil des Projekts, das Ines Jochum, PDL-Stabstelle Altersmedizin im Krankenhaus, leitet.
Sie kennt beide Seiten und hat die Ängste der Patienten wahrgenommen, denen täglich Blut abgenommen wird. Oder wenn sie für zahlreiche Untersuchungen aus dem Krankenzimmer in immer wieder neue, bedrohlich anmutende Umgebungen gerollt werden. “Diese Abläufe haben wir optimiert, jetzt bringen die Kollegen den Ultraschall direkt ans Krankenbett.” Und Untersuchungen werden gebündelt vorgenommen, damit die Aufregung nur einmal ansteht. Die Umstellung vieler Abläufe sei sinnvoll, man habe nur den Anstoß dazu geben müssen, meint Jochum.
“Wir müssen uns auf sie einstellen – nicht sie auf uns.”Ines Jochum, PDL-Stabstelle Altersmedizin
Umgekehrt hat das gesamte Personal durch die Schulungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft etwas über das Erleben dementer Menschen erfahren und kann sich besser einfühlen. Als Arzt muss man wissen, dass demente Patienten nicht immer sagen können, wo es ihnen wehtut. Und in der Pflege versteht man besser, warum Menschen schreien oder plötzlich um sich schlagen, wenn man den Grund der Ängste kennt und Ideen an die Hand bekommt, wie man darauf reagieren kann. “Alle profitieren davon”, sagt Ines Jochum und ist froh, dass das Krankenhaus das Pilotprojekt, wenn es im Juni 2017 endet, weiterführen wird. Rund zehn Prozent aller Patienten in deutschen Krankenhäusern sind dement. Und in Zukunft wird der Prozentsatz weiter ansteigen. Ziel ist es, gute Lösungen für alle zu finden: “Wir müssen uns auf sie einstellen – nicht sie auf uns.”
Ehrenamtliche besuchen Patienten mit Demenz
„Kimm fei wieder!“
Resi Sterner ist eine von sieben Ehrenamtlichen, die jede Woche ein bis zwei Stunden aufwendet, um Menschen mit Demenz im Krankenhaus Vilshofen zu besuchen. “Ich würde diese Entscheidung jederzeit wieder treffen. Die Arbeit gibt mir viel Kraft”, sagt die Windorferin.
Im September vergangenen Jahres wurde sie zusammen mit ihren Kolleginnen drei Tage lang von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft geschult. Krankheitsverläufe wurden vorgestellt, Handlungsmöglichkeiten besprochen. Wie rede ich mit verwirrten Menschen, wie kann ich sorgsam mit ihnen umgehen, Stress vermeiden? Für Resi Sterner war das äußerst hilfreich, und auch vom Personal der Akutgeriatrie fühlt sie sich sehr gut unterstützt. Die Schwestern und Pfleger informieren sie vorab, wer heute auf sie wartet und ob es besondere biografische Details gibt, auf die sie eingehen kann – oder die sie besser vermeidet.
Seit über zehn Jahren arbeitet die Windorferin ehrenamtlich mit Senioren und Hilfsbedürftigen in diversen Einrichtungen. Doch der Besuchsdienst im Krankenhaus ist für sie “die Krönung”. Warum? Ihr Antrieb war es zunächst, diese Krankheit besser zu verstehen. Heute sagt sie: “Ich bekomme mehr zurück, wie ich gebe.” Sie fühlt sich gestärkt durch die Dankbarkeit vieler Patienten: “Kimm fei wieder!”, ist ein Abschiedsgruß, den sie oft hört.
Die Besuche fordern sie heraus und bewegen sie: “Es ist beeindruckend, wenn man hört, was die Menschen erlebt haben.” Schweigepflicht ist selbstverständlich für Resi Sterner. Sie würde sich freuen, wenn noch weitere Ehrenamtliche den Besuchsdienst unterstützen: “Sie brauchen ein bisschen Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen.” Nähere Informationen hält Ines Jochum im Krankenhaus Vilshofen bereit.
Eine ehrenamtliche Mitarbeit hat Ihr Interesse geweckt?
Ines Jochum, Stabsstelle Altersmedizin der PDL, freut sich auf Ihren Anruf unter Tel.: 08541/206-171 oder 08541/206-322.